2017 | Galerie Reinart, Neuhausen am Rheinfall
Ausstellungsdokumentation

Sandra Fehr-Rüegg
Aus der Serie Hongkong

„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“ (J.W. Goethe, West-östlicher Diwan)

Sandra Fehr-Rüegg reist für ihre stillen Landschaften und stilisierten Blütenbilder
gewöhnlich nicht in die Ferne. Meist genügt ihr der Zauber der Natur direkt vor der Haustüre. Wie schlägt sich nun eine weite Reise nach Neuseeland mit einem längeren Aufenthalt in Hongkong in ihren jüngsten Arbeiten nieder?

Wer die Künstlerin kennt, ist nicht überrascht, dass Neues oder ganz und gar Fremdes nur behutsam in ihr stetig wachsendes Werk Einlass findet. Kontinuität, Individualität und Authentizität sind ihr wichtiger als aufgesetzte exotische Akzente. So nähert sie sich der Megalopolis Hongkong vorsichtig von ihren grünen Rändern her: Ein erster distanzierter Blick aus dem Hotelzimmer auf die roten Taxiflotten weit unter ihr, graubraun wachsen Hochhäuser in den Himmel und verstellen den Blick auf die Landschaft, in Nahsicht gerinnen repetitive architektonische Strukturen zum Musterbuch der Ornamentik. Doch Hongkong ist auch Dschungelstadt. Urwald und Wolkenkratzer wuchern wild um die Wette. Wie fängt man die Gegensätzlichkeit dieses Wildwuchses ein? Auf der Reise zunächst ganz praktisch mit der Kamera, fotografiert oder gefilmt.

Vier zu einem endlosen Loop montierte statisch gefilmte Kurzvideos fangen spezifisch grossstädtische transitorische Bewegungsmuster ein: Verkehr zu Lande und zu Wasser, tag und nachts strömend, scheinen sich komplementär zu ergänzen: Durch milchiges Fensterglas in Vogelperspektive erfasste Fahrzeug- und Menschenströme, eine choreographierte Spielzeugwelt, unwirklich weit weg und lautlos. Es folgt die Sequenz einer beklemmenden Fussgängerbrücke, auf der ein endloser Passantenstrom vor unseren Augen vorüberzieht, von welchem wir allerdings nur die silhouettierten Köpfe sehen. In den beiden stimmungsvollen nächtlichen Sequenzen blicken wir im Dunkeln auf die berühmte Bucht von Hongkong und erlaben unsere Augen an den rhythmischen Farbwechseln der Leuchtreklamen, die sich in breiten Bahnen auf dem dunklen Wasser spiegeln, nur sporadisch erhellt von festlich beleuchteten Schiffen, die von rechts und links die Bildfläche kreuzen. Die bewegte Wasseroberfläche wird zum kostbar gekräuselten changierenden Stoff mit einem Perlensaum aus Lichtern – ganz im Gegensatz zum tosenden Rheinfallbecken vor der Galerie Reinart.

Wieder zuhause, im Atelier, haben die Eindrücke nachgewirkt, treiben frische Blüten und wecken bei Sandra Fehr-Rüegg neue einprägsame Bilder.
Die in der Galerie Reinart ausgestellten Monotypien, Gemälde und Objekte erzählen von sich überlagernden Erinnerungen: Hell leuchten die vertrockneten Schirmblätter des Lotus über der spiegelnden Wasseroberfläche – von der Vergänglichkeit erzählend – , heimische Tulpen ruhen auf Seerosenblättern, Tempelornamentik kontrastiert mit Orchideenblüten, grünrote Helikonien grüssen. Auf Leuchtobjekten in Gelb, Orange und Rot glüht die fremde Pflanzenwelt in Schattenrissen nach und signalisiert den heftigen Kontrast von Natur und Zivilisation. Immer geht es der Künstlerin darum, das Eigene im Fremden und im Eigenen das Fremde zu entdecken, Orient und Okzident fruchtbar zu vermischen.

Eva Bächtold, Kunsthistorikerin
Februar 2017

© Sandra Fehr-Rüegg